a propos Beuys
Michael Seibel • (Last Update: 17.10.2014)
Ich würde gern
ein klareres Bild davon gewinnen, was an der Arbeit Josef Beuys' es
eigentlich war, das ihm seine außerordentliche hohe Resonanz
eingebracht hat und in welchem Umfeld es dazu kam. Mehr als eine
vorläufige Plausibilisierung erwarte ich nicht.
Ich gehöre zur
gleichen Generation wie die, die bei Beuys studiert haben, war aber
selbst kein Kunststudent, sondern habe in den 70ern an der
Düsseldorfer Universität Philosophie studiert. Ich habe
damals sozusagen nur den Beuysschen Rückenwind erlebt, die
Begeisterung einiger seiner Schüler, das Echo aus der
Ökobewegung und die eine oder andere Akademiefete. Ich bin also
in nur geringem Maß Zeitzeuge. Und was ich ebenfalls nicht bin:
ich bin kein Kunsthistoriker.
Heute, da die
Zeitstimmung von damals verflogen ist, frage ich mich in der
Draufsicht auf das Beuyssche Werk, was es eigentlich war, wodurch
Beuys seine Statur gewonnen hat. Ich verstehe es nicht gut. Sein
graphisches Werk erschließt sich mir nicht recht, obwohl ich
davon überzeugt bin, dass mir damit etwas entgeht, und sein
frühes bildhauerisches ebenso wenig. Seine gedankliche
Orientierung an Steiner schien mir immer schon ebenso aus der Zeit
gefallen wie seine Restreligiosität, sein ökonomischen
Vorstellungen schienen mir naiv. Andererseits fand ich den Mut, mit
dem er überkommenen Autoritäten kritisch entgegen getreten
ist, richtig und seinen pädagogischen Einsatz beachtlich.
Es wird Zeit, mein
Bild von Beuys einer Revision zu unterziehen.
Die
Anfänge
Bei Kriegsende ist
Beuys 24 Jahre alt und schließt sich der Künstlergruppe
des in Kleve ansässigen Malers Hanns Lamers an. Hans
Lamers ist zu diesem Zeitpunkt fast 50, also doppelt so alt wie Beuys
und wärmt Kubismus und Surrealismus auf.
Im nächsten
Jahr beginnt Beuys sein Studium in Düsseldorf an der
Kunstakademie bei Josef Enseling. Enseling verschönert
die Welt mit Auftragsarbeiten, Industrie- und Bergarbeiterdenkmälern
sowie Bauplastiken. Die Klasse, die Beuys besucht, ist die für
Monumentalbildhauerei.
Joseph Enseling, Friede 1939
Ewald Mataré, Große liegende Kuh 1930
Er lernt einen
Mitstudenten kennen, Erwin Heerich, der
jedoch in einer anderen Klasse studiert, bei Ewald Mataré
und ihn zu diesem hinüberzieht.
„Man muß die Natur besiegen, um zur Kunst zu gelangen“,
so Mataré 1916.
Mataré schneidet Tiermotive, Porträts und Landschaften
ohne Vorzeichnung in angeschwemmte Fundhölzer. Er vereinfacht
die Konturen so weit es überhaupt ging uns löst
Formprobleme. Das Motiv der Kuh ist bei Mataré häufig.
Skulptur, Holzschnitt, Aquarell, weiche Konturen. 1932 wird er
Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, aber schon 1933 von
den Nazis ohne Angabe von Gründen entlassen. Später gilt er
als entartet. Seinen internationalen Ruf begründeten nach dem
Krieg kirchliche Auftragsarbeiten, Portale, auch Kruzifixe, Kelche,
Kerzenständer. Mataré versucht, stilisierte
Figürlichkeit, Ornamentik und Ikonographie weiter zu entwickeln.
Damit bewegt er sich vollkommen auf der Höhe der bildenden Kunst
– des Vorkriegs. Als Form der künstlerischen
Zusammenarbeit schwebt ihm so etwas wie die mittelalterliche Bauhütte
vor. Bei seiner Rückberufung 1945 an die Düsseldorfer
Kunstakademie stimmt man ihm darin nicht zu. Er wird daher nicht
deren Direktor, sondern übernimmt nur eine Bildhauerklasse.
Als Bildhauer im traditionellen Sinn erreicht Mataré ein
ähnlich hohes Niveau wie Lehmbruck, der ungefähr gleich alt
ist. Den Antrieb, von Enseling zu Mataré zu wechseln, kann ich
gut nachvollziehen. 1951 wird Beuys bei Mataré
Meisterschüler.
Käthe Kollwitz Trauerndes Elternpaar 1932
Beuys Heerich Trauerndes Elternpaar 1953
Beuys Heerich Trauerndes Elternpaar 1953
Mataré
läßt Beuys und Heerich die Kollwitz Plastiken Die
trauernden Eltern
kopieren. Das Ergebnis ist nicht zu schlecht, aber das Original
überzeugt mich mehr. Einige von Matarés Entwürfen
werden von Beuys ausgeführt.
Anna
Klapheck schreibt einige Tage nach dem Tod von Beuys in der
Rheinischen Post am
1. Februar 1986:
»Als
Mataré-Schüler wußte sich Beuys in jungen Jahren
dem Lehrer völlig anzupassen. Er war kein Revoluzzer, kein
aufsässiger Student. Geduldig half er dem Älteren beim
Einsetzen der Mosaiksteine in die Reliefs der Kölner Domtüren.
„Mein Schüler Beuys bemüht sich auf das beste . . .
er wird einmal ein sehr guter Bildhauer werden. Er hat ein
ausgesprochen rhythmisches Gefühl und bewundernswerte Ausdauer“,
schreibt Mataré am 2. Dezember 1950 in sein Tagebuch
(veröffentlicht 1973). Zeitweilig hatte Beuys sein Atelier
draußen in Büderich neben dem von Mataré, er
gehörte ganz zur Familie, half, tätig wie er ist, bei der
Gartenarbeit, besorgte Samen und Stecklinge und war um Frau Mataré
liebevoll bemüht. In freien Stunden spielte man Boccia. Er hielt
Mataré die Treue, auch als dieser den Wegen des Schülers
nicht immer folgen konnte.«
Beuys
liest und diskutiert Texte von Rudolf Steiner. Man sagt, besonders
die Schrift Die
Kernpunkte der sozialen Frage
von 1919. Steiner entwickelt darin, was er den „sozialen
Organismus“ und dessen Gesundung nennt.
Eine Leseprobe daraus:
»Unsere
Denkgewohnheiten, unsere ganze Art, die Welt vorzustellen, ist noch
nicht vollständig angemessen dem, was zum Beispiel im
menschlichen Organismus sich als die innere Wesenheit des
Naturwirkens darstellt. (...). Aber mit Bezug auf die Betrachtung und
namentlich das Wirken des sozialen Organismus kann man nicht warten.
Da muss nicht nur bei irgendwelchen Fachmännern, sondern da muss
in jeder Menschenseele - denn jede Menschenseele nimmt teil an der
Wirksamkeit für den sozialen Organismus - wenigstens eine
instinktive Erkenntnis von dem vorhanden sein, was diesem sozialen
Organismus notwendig ist. Ein gesundes Denken und Empfinden, ein
gesundes Wollen und Begehren mit Bezug auf die Gestaltung des
sozialen Organismus kann sich nur entwickeln, wenn man, sei es auch
mehr oder weniger bloß instinktiv, sich klar darüber ist,
dass dieser soziale Organismus, soll er gesund sein, ebenso
dreigliedrig sein muss wie der natürliche Organismus.
«
Dreigliedrig, damit meint Steiner die drei Glieder Wirtschaft,
Recht/Politik und geistige Kultur. Der Steiner-Text steckt mit seinem
gesamten Gestus tief im 19. Jahrhundert.
Mataré schätzt Steiner nicht.
Was
macht Beuys nach der Zeit bei Mataré? Er durchlebt eine
künstlerische Krise, zeichnet viel, ständig, ohne Ende,
schwimmt sich von Mataré frei. Andere sind berufener als ich,
darüber Auskunft zu geben.
Ausstellungsteilnahmen
gibt es in der Zeit von 1954 bis 1960 nicht. Ohne die van der
Grintens wäre von Beuys bis 1963 praktisch nichts zu sehen
gewesen,
Wie man hört, setzt er 1958 erstmals die für die Kunst
ungewöhnlichen Materialien Fett und Filz ein. Aber schon Mataré
hat gern Fundmaterialien eingesetzt.
Anna Klapheck bemerkt im oben zitiertem Beitrag in der RP über die
erste Begegnung von Beuys mit Alfred Schmela im Jahr 1958:
»„Der
interessiert mich“, hatte Schmela mit sicherem Instinkt
sogleich erkannt, aber es dauerte noch lange, bis er Beuys für
seine Galerie gewinnen konnte. Ehepaar Schmela, so erzählt es
Monika Schmela, machten sich mit Tochter Ulrike auf den Weg nach
Kleve, wo Beuys damals sein Atelier hatte. Er empfing sie mit einem
herzhaften selbstgekochten Gericht. Dann pilgerte man über die
lange Pappelallee hinaus ins Alte Kurhaus, wo Beuys arbeitete.
Zeichnungen, Aquarelle, Objekte kamen zum Vorschein, eine verwesende
Ratte im Karton, alles geheimnisvoll und neuartig. Schmela gelang es
nicht, Beuys ein paar Arbeiten zu entreißen. Einige Tage später
brachte Beuys dann doch etliche Blätter in die Galerie. Sie
waren schwer verkäuflich, in jedem Fall billig.
Erst Jahre später (...) begriff man, daß diese toten Dinge
Relikte des Lebens sind, daß ihre dunklen Titel auf das Rätsel
unserer Existenz hinweisen.«
Beuys
bemüht sich 1958 um eine Professur an der Kunstakademie
Düsseldorf, was aber auf den Widerstand von Mataré
trifft, der 1957 emeritiert wird. .
Drei Jahre später, 1961, klappt es aber. Beuys wird einstimmig
als Nachfolger von Josef (Sepp) Mages auf den „Lehrstuhl für
monumentale Bildhauerei der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf“
berufen. Mages machte noch monumentale Bildhauerei.
Josef Mages, Travertin, Monumentalskulptur, Berlin am Maifeld auf dem Olympiagelände
Zwischen 1958 und 1963 verändert sich seine Arbeit stark und
hatte mit klassischer Bildhauerei nur noch wenig zu tun.
Frühstücksgespräch "Beuys über Beuys" (Joseph Beuys im Gespräch mit Walter Smerling und Knut Fischer) vom Januar 1985.
Zweiter Teil des Gespächs
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